Politik

Reporter ohne Grenzen stellt Rangliste 2014 vor

Pressefreiheit unter Beschuss


Pressefreiheit weltweit 2014 (Quelle: Reporters sans frontières (rsf))
Pressefreiheit weltweit 2014
(Quelle: Reporters sans frontières (rsf))
GDN - Verfolgt, bedroht, getötet - Pressefreiheit ist in vielen Ländern keine Selbstverständlichkeit und wird nicht selten mit Händen und Füßen getreten. Die Journalistenorganisation Reporter ohne Grenzen (ROG) veröffentlichte jetzt die aktuelle Rangliste. Wie steht es weltweit um das Grundrecht?
Reporter ohne Grenzen veröffentlichte am Dienstag die jährlich aktualisierte Rangliste der Pressfreiheit 2014. Darin aufgeführt ist die globale Situation von Journalisten in 180 Staaten und Regionen für den Zeitraum von Dezember 2012 bis Mitte Oktober 2013. Zweifelsfrei 71 aufgrund ihrer Arbeit getötete Journalisten war die ROG-Bilanz 2013, abgesehen von der Dunkelziffer. Noch frisch ist das Blut des im Januar 2014 getöteten irakischen Journalisten Firas Mohammed Attiyah des lokalen TV-Senders Fallujah, der einer gezielten Bombenexplosion in der Provinz Anbar zum Opfer fiel. Die Dschihadistengruppe Islamischer Staat im Irak und der Levante (ISIS) erweisen sich dort als tödliche Bedrohung tätiger Journalisten.
Informationsfreiheit jenseits Europas
2014 ist jung. Bereits im Januar kamen drei Reporter des Shaza Al-Hurriya TV-Senders in Syrien (177) ums Leben. In Pakistan (158, +2) wurden drei Express News-Journalisten getötet. ROG verzeichnet für den Erfassungszeitraum sieben getötete Journalisten. Wahrscheinlich ist, dass noch viele folgen werden. Allzu ernüchternd ist die politische Lage in vielen Ecken der Welt. Seit Jahren unverändert - die kontrollierten Diktaturen Turkmenistan (178), Nordkorea (179) und Eritrea (180) belegen die letzten Ränge. Die Liste spiegelt die Situation der Menschenrechte wieder, denn Pressefreiheit ist nach der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte weltweit rechtskräftig. Finnland (1), Niederlande (2) und Norwegen (3) führen in Sachen Pressefreiheit.
In der Schusslinie des Syrienkrieges
In dem durch den Bürgerkrieg nicht zur Ruhe kommenden Land Syrien (177) geraten Journalisten täglich zwischen die Fronten regimetreuer Milizen, Rebellen und militanter Islamisten. Ohne die Arbeit von Journalisten vor Ort drohe das Leid der Menschen in Vergessenheit zu geraten, so ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. Systematische Entführungen von Medienschaffenden stehen in dem Land an der Tagesordnung. Für viele sind die Al-Qaida-nahe Gruppe der Al-Nusra-Front und Islamischer Staat im Irak und der Levante (ISIS) verantwortlich.
Rote Karte für USA und Großbritannien
Die für den investigativen Journalismus so relevanten Informanten, namentlich die Whistleblower stehen im Visier der Verfolgung durch Großbritannien und die USA. Während Snowden, Manning, Assange sowie der freie Journalist Barret Brown Informationen undemokratischer Verfehlungen der USA an die Öffentlichkeit liefern, jagt die USA sie gnadenlos. US-Spionageenthüller Edward Snowden ist auf der Flucht im politischen Asyl in Russland und WikiLeaks-Pionier Julien Assange kann keinen Fuß vor die Botschaft Ecuadors in London setzten, ohne der britischen Polizei direkt in die Arme zu laufen. Ihnen droht das Schicksal Chelsea Mannings.
Der ehemalige US-Soldat verbüßt eine 35-jährige Haftstrafe in den USA, da er brisante Details an WikiLeaks leitete. Diese staatliche Verfolgung erklärt, warum die USA (46, -13) ganze dreizehn Stufen gefallen ist. “Selbst Staaten wie die USA und Großbritannien rücken investigative Journalisten und ihre Hinweisgeber mittlerweile in die Nähe des Terrorismus“, sagte ROG-Vorstandssprecher Michael Rediske.
In Großbritannien (33, -3) versetzt das Vorgehen gegen die Zeitung "The Guardian" der Pressefreiheit einen Schlag. Die Redaktion wurde zur Zerstörung ihrer Festplatten, die Informationen zu Praktiken des britischen Geheimdienstes GCHQ enthielten genötigt. Wenig später wurde David Miranda unter Berufung auf ein Anti-Terror-Gesetz am Flughafen Heathrow festgehalten. Die Behörden konfiszierten Datenträger mit verschlüsselten Informationen einer Recherchepartnerin des Reporters Glenn Greenwald.
Ukraine - Journalisten im Frontenkrieg
Gezielte Gewalt gegen Journalisten hat sich gerade im seit Dezember gegen die Regierung protestierenden Land der Ukraine (127) zugespitzt. 2014 wurden bereits 37 Journalisten, zumeist durch Blendgranaten und Gummigeschosse in Kiew inmitten der Auseinandersetzung verletzt. Aufgrund der fortschreitenden Gewalt gegen Journalisten sieht ROG eine Verschlechterung für die kommende Rangliste voraus, die für diesen Erfassungszeitraum nicht mehr berücksichtigt werden konnte. Unter Präsident Viktor Janukowitsch wurde zuletzt ein die Pressefreiheit stark einschränkendes Gesetzespaket verabschiedet. So wird Verleumdung wieder zur Straftat, auf die hohe Geldstrafen oder bis zu zwei Jahre Haft stehen.
Der Extremismusparagraf greift in die kritische Berichterstattung von Journalisten ein indem das Sammeln und Verbreiten von Informationen über Personen der Exekutivgewalt unter Freiheitsstrafe steht. Auch die Internetzensur ist im Kommen. Wer nicht registriert ist und “illegale“ Informationen verbreitet, wird gesperrt. Die neue Protestwelle zeige, wie verfehlt der Versuch Janukowitschs sei, Kritik an seiner Politik durch weitere Einschränkungen der Meinungsfreiheit und anderer Grundrechte zu ersticken. Parlament und Präsident sollte diese repressiven Gesetze umgehend aufheben, so ROG-Geschäftsführer Christian Mihr.
Für Aufsehen sorgten Morddrohungen gegen den ukrainischen Journalisten Vitalij Portnikow, nachdem er sich mit Botschaftern der EU-Staaten traf. Die brutale Zurichtung der Journalistin und Janukowitsch-Kritikerin Tatjana Schornowil sorgte für Empörung. Zudem wurde der Blogger und Protestanführer Ihor Luzenko kurzzeitig entführt und misshandelt. Die ROG-Korrespondentin und IMI-Leiterin Oksana Romanjuk wurde als “ausländische Agentin“ diffamiert, nachdem ihr zuvor private Daten von ihrer Computerfestplatte durch Hacker gestohlen und im Internet publiziert wurden.
Internetzensur vs. China Leaks
Internetaktivisten geraten in China (175, -1) verstärkt ins Visier der Regierung. Mindestens 70 Blogger und 30 Journalisten sind derzeit inhaftiert. Die Kommunistische Partei zensiert das World Wide Web, wo sie nur kann und verwehrt sich massiv gegen internationale Kritik. Neuerdings hat sie eine Visapflicht für ausländische Journalisten eingeführt. Mit der Website “We Fight Censorship“ bietet ROG eine Plattform für zensierte China Leaks. Hintergund ist die aufgedeckte Korruption der chinesischen Polit-Elite, die über internationale Finanzdienstleister ein Vermögen anhäufte. Ein Whistleblower spielte die Daten 2011 dem Internationalen Konsortium Investigativer Journalisten (ICIJ) in Washington zu, die seither analysiert werden.
Viele internationale Medien hatten über die Enthüllungen berichtet. China antwortete mit einer radikalen Zensur des Internets und löscht gezielt Enthüllungen. ROG-Geschäftsführer Christian Mihr sagte, die “Reaktion auf die Veröffentlichungen verdeutlicht umso mehr, dass diese Recherchen von größtem Interesse für die Öffentlichkeit sind“. Die Anti-Zensur-Plattform von ROG “We Fight Censorship“ spezialisiert sich nicht allein auf China Leaks.
Egal wo auf der Welt die Informationsfreiheit unterdrückt wird, hier finden zensierte Inhalte Weltöffentlichkeit. Im Sinne des sogenannten Streisand-Effekts publizieren internationale Medien wie die Süddeutsche Zeitung, Le Monde und die spanische El País chinesische Versionen der Leaks. Welcher Druck auf repressive Staaten als der einer geschlossen auftretenden Öffentlichkeit könnte größer sein? Denn erst das Verbot heizt die Verbreitung erst richtig an. Auch Vietnam (174, -1) ist durch massive Internetzensur betroffen, die Interaktivität in sozialen Netzwerken per Gesetz verbietet. Die Türkei (Platz 154, +1) sperrte im Zuge der regierungskritischen Gezi-Proteste zehntausende Internetseiten und inhaftierte Ende 2013 rund 60 Journalisten.
Olympia in Sotschi - Platzverweis für Menschenrechte
Russland (148, +1) reiht sich in die lange Staatenliste der Internetzensur ein. Wieder zeigt sich die enge Parallele zwischen Menschenrechtsverletzungen und der Beschneidung der Pressefreiheit, die unabhängige Berichterstattung selbst für ausländische Reporter schier unmöglich macht. Neben willkürlicher Strafverfolgung werden Morde an Journalisten vor allem im Nordkaukasus nicht aufgeklärt. Unsportliche Ziele verfolgt der Kreml bereits im Vorfeld der Spiele und entzog der unabhängigen Nachrichtenagentur Rosbalt ihre Lizenz. Seit 2012 sperrte sie - völlig legal - über 15.000 Webseiten, während in sozialen Netzwerken bezahlte Blogger kommentierten.
Unter dem Deckmantel der Gefahr vor Extremisten und des Kinderschutzes vor Pornographie brachte Russland ein Gesetz auf den Weg, das die Internetzensur legalisiert. Jetzt hat die Medienkontrolle ein neues Level erreicht - Blogger erhalten Mahnanrufe von Behörden und der Geheimdienst FSB überwacht den Telefon- und Datenverkehr in Sotschi. Während in der EU Seiten kinderpornographischen Inhalts mit dem “Child Sexual Abuse Anti Distribution Filter“ (CSAADF) des CIRCAMP-Projekts gesperrt werden, befürchten Kritiker in Russland einen Missbrauch durch Behörden und eine Zensur der Willkür ohne Gerichtsbeschluss.
Das Gesetz stößt international auf starken Protest. Die EU verwies auf demokratische Freiheiten, Wikipedia reagierte mit der kurzzeitigen Sperrung seiner russischen Seite. Neben kritischen Journalisten leben auch sexuell Diskriminierte gefährlich. Putin verabschiedete das Gesetz gegen “Homosexuelle Propaganda“, das von Human Rights Watch scharf angeprangert wird. Neurdings werden brutale Schlägertrupps auf Homosexuelle gehetzt. Unter den Vorbereitungen der Olympischen Spiele hatten viele zu leiden. So wurden ganze 2.000 Familien aus Sotschi und Umgebung ohne Entschädigung umgesiedelt.
Arbeitsimmigranten, die am Aufbau der Olympia-Anlagen beteiligt waren, wurden regelrecht ausgebeutet und Erdrutsche sowie die Zerstörung von Trinkwasserquellen sind die Folgen umweltfeindlicher Baumaßnahmen. In der Kritik steht auch das Internationale Olympische Komitee (IOC), das keine Maßnahmen ergriff, nachdem ihm Beweise der Menschenrechtsverletzungen vorgelegt wurden. Nach außen hin, über die Bildschirme der Liveübertragung Olympias sonnt sich Russland weiter im internationalen Licht eines modernen Spiele-Sponsors.
Deutschland heraufgestuft
Zwar wurde Deutschland um drei Plätze heraufgestuft (14, +3) und befindet sich derzeit im oberen Mittelfeld Europas, aber ist doch nicht krisenfrei. Vor allem die Spionageenthüllungen durch Snowden der globalen Abhörmethoden der Geheimdienste NSA und GCHQ sind alarmierend für den journalistischen Quellschutz, wobei auch ein rechtlicher Schutz für Whistleblower fehle. Der US-Geheimdienst CIA suchte nach gezielten Informationen zu einem deutschen Journalisten beim Bundesverfassungsschutz. Der Niedersächsische Verfassungsschutz überwachte seit Jahren Journalisten, die investigativ in Extremistenmilieus recherchierten.
Der Umstand zu uneingeschränkt behördlichem Informationszugang sollte Standard sein. Verfassungsrechtlich garantiert sind die Meinungs-, Informations- und Pressefreiheit als spezielle Freiheitsgrundrechte durch Art. 5 GG. Hinzu kommt das bereits 2005 erlassene Informationsfreiheitsgesetz (IFG), welches den Informationsaustausch zwischen Bundesbehörden und Journalisten erleichtern sollte. Die Realität sieht anders aus, denn die oftmals langsame Bearbeitung von Informationsanfragen und damit verbundene hohe Gebühren blockieren Recherchen ungemein. Gleichzeitig blieb die IFG-Verabschiedung bisher in fünf Bundesländern aus.
Freie Journalisten und Informantenschutz bedroht
Kritisch sieht ROG die seit Herbst 2013 umgesetzte EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung auf Bundesebene. Die investigative Arbeit würde durch die pauschale Speicherung von Verbindungsdaten zu Fahndungszwecken erheblich bedroht. Dabei stehen der Informantenschutz und das Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 Abs. 1 Nr. 5 StPO auf dem Spiel, da potenzielle Informationsgeber im Endeffekt aus Angst den Kontakt zu Journalisten scheuen. Derzeit wird vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) ein Urteil zur Überarbeitung der EU-Richtlinie erwartet. Ebenso bezweifelt ROG die Zulässigkeit der Neuregelung zur Bestandsdatenauskunft für Polizei und Geheimdienste, die den Zugriff auf persönliche Daten von Internet-Providern erleichtert.
Zunächst positiv bewertet wird das 2012 auf Bundesebene verabschiedete Pressefreiheitsgesetz. Es sichert den Schutz von Redaktionen vor staatlichen Übergriffen wie Durchsuchungen und Konfiszierung. Dabei war die Beschlagnahmung von Redaktionsinterna als Ergebnis des Zeugnisverweigerungsrechts bereits gemäß § 97 Abs. 5 StPO unzulässig. Als Ausnahme gilt der dringende Straftatverdacht. Investigative, freie Journalisten arbeiten weiterhin unter Risiko, denn ihre privaten Redaktionsräume sind vom Durchsuchungsschutz befreit.
Jedoch werden sie bei der Auswertung und Veröffentlichung staatlicher Quellen durch Informanten nicht wegen Beihilfe zum Geheimnisverrat belangt. Die Anstiftung hierzu aber steht unter Strafe - investigative Recherche wird weiterhin erschwert. Zahlreiche Ereignisse aber demonstrieren die praktische Wirkungslosigkeit des Gesetzes. Dazu zählen Durchsuchungen in Wohnungen freier Foto-Journalisten in Zusammenhang mit Fotos einer Demonstration sowie der Fall Hubert Denk, der einen Parteispendeskandal aufdeckte. Zudem prangert ROG zunehmende Einschüchterungsversuche durch Extremisten und aus dem Kriminalitätsmilieu gegen kritische Berichterstatter an. Mehrfach wurden Reporter durch Neonazis oder radikale Islamisten bedroht.
Seit Jahren beobachtet ROG die hohe Pressekonzentration und den abnehmenden Trend eigener Vollredaktionen. Geldknappheit zwinge viele Zeitungen dazu, ganz zu schließen. Die Zahl konkurrierender Printmedien sinkt so stetig rapide. Bezahlte und kaum erkennbare Unternehmens-PR nimmt dagegen zu. Kompletteinstellungen, Redaktionszusammenlegungen und versteckte Werbung - die Qualität bleibt oft auf der Strecke.
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