Politik

WikiLeaks-Aktivistin Sarah Harrison diskutiert beim Global Media Forum

Freie Rede aus dem Exil


World Conference Center Bonn (Quelle: Michelle Eickmeier)
Sarah Harrison
(Quelle: Michelle Eickmeier)
GDN - Am Rande der Konferenz traf ich Sarah Harrison. Plötzlich stand sie neben mir, mit Sonnenbrille, eine Zigarette rauchend. Spontan erklärt sie sich für ein Foto bereit. In der prallen Sonne sprachen wir über die inhumane Situation Julian Assanges, der an der Ausreise nach Ecuador gehindert wird.
Es scheint, als hätte sich die westliche Welt gegen sie verschworen. Wenigstens für zwei Stunden auf dem Deutsche Welle Global Media Forum sieht dies anders aus. Dann spricht die britische Journalistin und WikiLeaks-Aktivistin Sarah Harrison im World Conference Center Bonn (WCCB): “Es ist eine Schlacht gegen die unerklärliche Macht“, sagt sie am Mittwoch, dem dritten Tag des Medienforums in ihrer Keynote, und fügt hinzu: “Wir machen weiter“. Keiner weit und breit im Plenarsaal, der sie oder ihre Organisation als “Cyber Terroristen“ bezeichnet, wie es viele US-Politiker taten, wenn sie gar zum Mord an Julian Assange aufriefen - im TV.
Video "Collateral Murder"
Quelle: Michelle Eickmeier
Unzensiert im Internet lief auch das wohl bekannteste Wikileaks-Video “Collateral Murder“ rauf und runter, das die tödlichen Schüsse aus einem US-Kampfhubschrauber in Bagdad auf irakische Zivilisten und Reuters-Journalisten dokumentiert. Harrison spielt es ab und lässt die Konferenzteilnehmer erneut Zeugen dieser Menschenrechtsverletzungen werden. Bis heute “wurde niemand für die Journalistenmorde zur Rechenschaft gezogen“, bemerkt sie. Doch die Bürger sowie Unschuldige und Gefolterte seien befähigt, diese Regierungen zur Rechenschaft zu ziehen. Indem WikiLeaks Fakten in voller Länge liefere, unterstütze es diesen Prozess.
Deutsche Welle Global Media Forum
Quelle: Michelle Eickmeier
Das siebte internationale Global Media Forum mit über 190 Speakern und politischen sowie wirtschaftlichen Akteuren stand unter dem Motto “Von Information zu Partizipation - Herausforderungen für die Medien“. An die 2.300 Gäste, darunter mehr als 500 Journalistinnen und Journalisten aus über 100 Nationen, waren vertreten, um am diesjährigen interdisziplinären Medienkongress zu Chancen und Risiken im digitalen Zeitalter teilzunehmen. Mitveranstalter und Partner waren unter anderem Amnesty International, Grimme-Institut, NATO, Pressenza, Reporter ohne Grenzen und United Nations.
Inmitten des Informationskrieges
Sarah Harrison - sie war die Frau, die 39 Tage mit Ex-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden im Transitbereich des Moskauer Flughafens ausharrte, um politisches Asyl für ihn zu erreichen. Snowden hatte eine weltweite Debatte ausgelöst, nachdem er geheime Dokumente der National Security Agency (NSA) an Journalisten übergeben hatte und damit die massive Überwachungspraxis der britischen und amerikanischen Geheimdienste öffentlich machte. Seither befindet er sich auf der Flucht vor den USA, die ihn per Haftbefehl suchen. Nun sieht sich Harrison selbst im Visier der Verfolgung. Doch sie weiss, worauf sie sich einlässt, denn es sei die Aufgabe von Journalisten, die Regierungsmacht westlicher Verbündeter zu hinterfragen.
Sarah Harrison
Quelle: Michelle Eickmeier
Sie lebt in Berlin, da ihr Anwälte von einer Rückkehr in ihre Heimat Großbritannien abraten. Journalisten, die über das Überwachungsprogramm von GCHQ und NSA berichten, fallen nach Gesetzesinterpretation der britischen Regierung in die Kategorie “Terrorismus“. Damit steht Harrison nicht alleine da. Auch der US-Internetaktivist Jacob Appelbaum und die Enthüllungsjournalistin Laura Poitras leben im deutschen Exil. Man könnte meinen, Deutschland entwickle sich immer mehr zu einem Zufluchtsort dieser Vorkämpfer für die Informationsfreiheit. Doch die Realität sieht anders aus. Auch WikiLeaks-Begründer Julian Assange konnte ein trauriges Jubiläum am 19. Juni in der Londoner Botschaft Ecuadors begehen, in die er vor zwei Jahren Zuflucht nahm. Doch Assange will nicht aufhören, brisante Informationen undurchsichtiger Regierungsmachenschaften zu enthüllen, und die Geheimdienste wollen ihre massive Jagd auf private Daten nicht einstellen. Die Relevanz der Information im 21. Jahrhundert ist hoch und Gegenstand des Informationskrieges.
Im Talk (v.l.): S. Gaycken, S. Harrison, B. Goff
Quelle: Michelle Eickmeier
Anschließend diskutierte Harrison zusammen mit Ahmad Abbas (ägypt. Bassems Show Albernameg), Sandro Gaycken (Freie Universität Berlin) und Jamie Shea (NATO) über Transparenz und Partizipation im digitalen Zeitalter. Muss diese Teilhabe mit dem Preis der Privatsphäre einhergehen, und wie kann sich die globale Gesellschaft sicher vor Cyber-Spionage und Cyber-Kriminalität schützen? Wer ist Freund, wer Feind? Die Regierungen sollten uns vielmehr schützen, anstatt die Privatsphäre zu gefährden, und Journalisten sollten verstärkt mit IT-Experten zusammenarbeiten, meint Harrison.
Verehrt im Exil - Zeugenaussage gescheitert
Gerade erst war der US-Whistleblower Edward Snowden Ende Juni mit dem "Berliner Preis für Zivilcourage" ausgezeichnet worden, den Harrison für ihn entgegennahm. Damit hatte die Initiative seinen pionierhaften Einsatz für Demokratie und Bürgerrechte gewürdigt. Doch, wer die Wahrheit ausspricht, bezahlt einen hohen Preis, und die US-Regierung schlage zurück. “Was ihr Angst macht, ist die Menge an veröffentlichten Qelldokumenten.“ Unterstützung erhält Snowden auch durch die in Berlin durch Harrison gegründete Courage Foundation, die Whistleblowern juristisch und finanziell zur Seite stehen will.
Die durch Snowden angeschlagene Debatte der tendenziellen US-Entwicklung zu einem Überwachungsstaat konnte das Meinungsklima in den USA nicht umkippen. Nach seinem NBC-Interview demonstriert das Ergebnis einer anschließenden Telefonumfrage "Snowden - Held oder Verräter?" die Gleichgültigkeit der Amerikaner. Nur 24 Prozent sahen ihn als Patrioten, 40 Prozent enthielten sich, 34 Prozent stimmten für “Verräter“.
WikiLeaks Presentation-Sheet
Quelle: Michelle Eickmeier
Von den einen verehrt, von den anderen verfolgt und ausgesperrt. Deutschland und die USA scheiden als Aufenthaltsort für den ehemalige NSA-Mitarbeiter aus, während sein vorläufiges russisches Asyl Ende Juli abläuft. Auf Druck der USA riskiert es die Bundesregierung nicht, Snowden als wichtigen Zeugen in Deutschland zu vernehmen. Dies entschieden Union und SPD im NSA-Untersuchungsausschuss zur globalen Massenüberwachung, der bereits im März seine Arbeit aufnahm. Dem ging ein Streit unter den deutschen Parlamentariern voraus. Die Opposition bestand auf einer Zeugenaussage Snowdens in Deutschland.
Diese will nun eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht prüfen. Auf relevante Informationen wollten Union und SPD allerdings nicht ganz verzichten und den politisch Verfolgten in Moskau antreffen. Doch sein Berliner Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck ließ verlauten, um die Sicherheit des Aufenthaltsstatus seines Mandanten nicht zu gefährden, werde dies nicht in Russland stattfinden.
Vor dem Europarat in Straßburg, zu dem Snowden Ende Juni per Video zugeschaltet war, äußerte er sich irritiert über das Verhalten der Bundesregierung, die ihn an einer Einreise hindern würde, während sie gleichzeitig seine Zeugenschaft erbetet. Die Videoschaltung brach nach einiger Zeit zusammen. Eine gezielte Störung, wie vermutet wird. Auf die erneute Einladung der Bundesregierung, Snowden im September per Video-Schaltung zu befragen, wird dieser sicher nicht eingehen. Wen wunderts?
Greenwald sieht Informantenschutz bedroht
Am zweiten Konferenztag ging es um den Informantenschutz von Whistleblowern, und wie Journalisten diesen angesichts der Überwachungspraktiken, etwa durch Geheimdienste, gewährleisten können. Auf dem Podium diskutierte US-Journalistin und Mitbegründerin von “Democracy Now“ Amy Goodman unter anderem mit Matthew Armstrong vom US-amerikanischen Broadcasting Board of Governors (BBG) und Guy Berger von UNESCO Frankreich über “Politische Meinungsbildung im digitalen Zeitalter“. Goodman prangerte die scharfe Verfolgung von Whistleblowern in den USA an, dabei könnten Medien “die stärkste Kraft für Frieden sein. Stattdessen werden sie allzu oft als Kriegswaffe eingesetzt.“
Per Videobotschaft wandte sich NSA-Enthüller Glenn Greenwald an das Plenum. Der US-Journalist, der sich faktisch im Exil befindet, sieht die eigentliche Aufgabe von Journalisten darin, “investigative Kontrolle auszuüben und denjenigen, die über die Macht verfügen, Grenzen zu setzen“. Beide Seiten verfolgten jeweils “unterschiedliche Ziele aus unterschiedlichen Perspektiven“.
Sandro Gaycken, Senior Researcher
Quelle: Michelle Eickmeier
Vor allem der Informantenschutz sei durch die NSA-Krise bedroht. “Das hat die freie Presse in Gefahr gebracht“. Hier werde es “viele Reformen“ im Journalismus geben, um den Informantenschutz auch technisch zu sichern, so Greenwald. Zusätzlich verwies er auf das “außerordentlich enge Verhältnis zwischen amerikanischen Medienunternehmen und der US-Regierung“, das seit den Anschlägen vom 11. September noch intensiver geworden sei.
Jamie Shea, NATO
Quelle: Michelle Eickmeier
Derweil steigt der öffentliche Druck im Zuge des NSA-Skandals. Unlängst klagte der SPIEGEL die Bundesregierung wegen Passivität und Beihilfe an, und veröffentlichte prompt neue Snowden Dokumente. Diese enthüllen die enge Kooperation von NSA und BND. Gemeinsam abgefangene Daten führten zur Festnahme oder Tötung von über 40 Terroristen. Thematisch passend war hier der “Transatlantic Talk“ über das amerikanisch-europäische Verhältnis im Schatten des NSA-Skandals.
“Die EU steht nicht an erster Stelle amerikanischer Besorgnis“, stellte Melinda Crane, Politik-Chef-Korrspondentin der Deutschen Welle, fest. Mit ihr diskutierten RTL-Chefredakteur Peter Kloeppel; Hubert Wetzel, Süddeutsche Zeitung und Rüdiger Lentz, Aspen Institut.
Weitere Gäste auf dem Global Media Forum waren der Google-Kritiker Jeff Jarvis, Springer-Chef Mathias Döpfner, Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier und Polit-Satiriker Bassem Youssef.
Video Presentation of Collateral Murder.
Quelle: Michelle Eickmeier
Video Presentation of Collateral Murder.
Quelle: Michelle Eickmeier
Video Presentation of Collateral Murder.
Quelle: Michelle Eickmeier
Video Presentation of Collateral Murder.
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Video Presentation of Collateral Murder.
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Video Presentation of Collateral Murder.
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Brent Goff
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Ahmad Abbas
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Sarah Harrison
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Five to Twelve
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