Kultur

“Gaunerstück“ von Dea Loher im Deutschen Theater Berlin

Rebellion gegen das Schicksal

GDN - Vor einigen Tagen feierte “Gaunerstück“, das neueste Bühnenwerk der Dramatikerin Dea Loher seine Uraufführung am Deutschen Theater in Berlin. Die Koproduktion mit dem RO Theater (Rotterdam) kann leider nur phasenweise überzeugen.
Die Zwillinge Maria und Jesus Maria stehen im Zentrum des “Gaunerstücks“. Ihre alleinerziehende Mutter hat sich, nachdem ihr spanischer Mann sie verlassen hat, zur Alkoholikerin entwickelt und ist in einen Strudel des Verfalls und sozialen Niedergangs geraten. Die Zwillinge erkennen, dass sie einer scheinbar vorausbestimmten trostlosen Zukunft nur entkommen werden, wenn sie ihre Mutter verlassen. Sie schlagen sich mit Gelegenheitsjobs durch das Leben, wohnen in Nachbarschaft zu einer transsexuellen Wahrsagerin und einem Pornofilmproduzenten und sind doch fest entschlossen, ihre Lage zu verändern und ein Leben voller Abenteuer, “an die man sich in hundert Jahren noch erinnern wird“, zu verbringen.
Das neue Stück aus der Feder Dea Lohers wirkt atmosphärisch optimistischer als manche ihrer vergangenen Werke, denn die Grundhaltung der Protagonisten ist von einer regelrechten Lebenslust geprägt. Auch wenn Maria und Jesus Maria aus prekären Verhältnissen stammen und ihre Handlungsmöglichkeiten begrenzt erscheinen mögen, ist ihr Denken doch stets zukunftsorientiert.
Die zur Anwendung kommenden Mittel sind mitunter zweifellos fragwürdig. Die Geschwister bewegen sich jenseits der Legalität, verhalten sich oftmals egoistisch, gegenüber der eigenen Mutter sogar geradezu skrupellos, aber sie pochen auf das Recht, das Leben zu genießen und rebellieren gegen das Schicksal.
Nachdem sie bereits in der Vergangenheit mit “šUnschuld“™ und “šDas letzte Feuer“™ Textvorlagen von Dea Loher in Szene gesetzt hat, übernahm die niederländische Regisseurin und Künstlerische Direktorin des RO Theaters in Rotterdam Alize Zandwijk auch für das “Gaunerstück“ die Regie.
Thomas Rupert hat ein klares Bühnenbild erschaffen, das durch abblätternden Putz an den Wänden, ungemütliche Beleuchtung, alte Matratzen und ein schmuckloses Waschbecken die prekäre Existenz der Protagonisten deutlich macht.
Da es sich um eine Koproduktion mit dem RO Theater handelt, sind die Rollen mit Schauspielern aus beiden Häusern, die allesamt ihre Sache gut machen, besetzt worden. Die Idee, die beiden Hauptpersonen doppelt zu besetzen, erscheint zunächst durchaus interessant und mag im Sinne einer Kooperation auch konsequent sein, doch die künstlerische Substanz dieser Entscheidung bleibt über den Abend hinweg fraglich und der Gewinn für die Erzählung unklar.
Doch das Kernproblem der Produktion ist vor allem darin zu sehen, dass die Figuren nicht handeln, sondern von ihren Handlungen berichten, inklusive des in den vergangenen Jahren so beliebt gewordenen, oftmals aber auch überstrapazierten Regiekniffs, dass die Schauspieler direkt ins Publikum sprechen. Derartige Elemente kennt man auch aus früheren Stücken Lohers, doch bislang nicht in dieser Konsequenz. Die Wortkaskaden, die auf das Publikum herniedergehen, wirken im Verlaufe des Abends jedoch ein wenig ermüdend.
Gelungen hingegen sind die tänzerischen Elemente, welche die Regisseurin in die Inszenierung einfließen lässt. Wenn für einige Momente der Redeschwall abebbt und einzig die Klänge von Beppe Costa, der sowohl als Livemusiker wie auch als Schauspieler agiert, und die Körpersprache der Darsteller, die oftmals weitaus tiefer geht als die den Abend dominierende Lautsprache, den Raum erfüllen, entstehen sehr anrührende Momente.
Und als in einem kurzen Monolog der transsexuellen Wahrsagerin Madame Bonafide Poesie, Traurigkeit und Humor verschmelzen, erinnert man sich auch wieder daran, warum man Dea Loher so sehr schätzt.
““¦ stell die ein Aquarium vor - da gibt es für den einzelnen Fisch zwar quasi unendlich viele Möglichkeiten - wohin paddle ich heute oder lass ich mich mal treiben - aber schließlich ist da auch `ne Grenze. (“¦) Der Lebensraum bleibt ja immer derselbe. (“¦) Raus aus dem Aquarium und Vogel werden - is` schwierig.“ Alles laufe im Leben, von der Frisur bis zur Zukunft, auf drei Fragen hinaus: "Woher, wohin, wofür?"

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